Samstag, September 16

Lebendiges Deutsch

Vielleicht gehen Sie an diesem Wochenende zu einem Event und nehmen vorher noch ein bisschen Fast-Food zu sich. Das haben Sie wohl verdient, denn das Brainstorming von gestern war doch recht anstrengend. Als vernünftiger Mensch benutzen Sie für diesen Ausflug sicher ein Auto mit Airbag, man kann ja nie wissen, ob die Fahrt nicht in einem Blackout endet.

Haben Sie den obigen Abschnitt trotz der vielen Aglizismen genau verstanden? Gut. Sie erinnern sich aber vielleicht, dass der TV-Sender SAT1 anfangs dieses Jahrtausends mit dem Slogan Powered by emotion geworben hat. Wie eine Untersuchung gezeigt hat, hatten zwei Drittel der Fernsehteilnehmer keine Ahnung, was das heissen sollte. Einige legten sich Interpretationen wie Von Gefühlen gepudert zurecht.

Noch schlimmer traf es den Energiekonzern RWE mit seinem Slogan One group, multi utilities – den verstanden nur gerade 8%. Die beiden Unternehmen änderten daraufhin ihre Slogans. Bei SAT1 heisst's jetzt SAT1 zeigt's allen und bei RWE Alles aus einer Hand. Selbst Mc Donalds Deutschland änderte den Slogan von I'm lovin' it in Ich liebe es.

Die deutsche Sprache ist voll von Fremdwörtern. Bei Wörtern wie Bar, Grill, Partner, Party, Sex und Steak kommen wir erst bei genauerem Hinsehen darauf, dass es eigentlich englische Wörter sind. Unsere Sprache ist auch voll von eingedeutschten Wörtern: Aus dem ursprünglichen Aeroplan wurde das Flugzeug, aus der Korrespondenzkarte die Postkarte, aus der Passion die Leidenschaft. Dieser Eindeutschung von Fremdwörtern hat sich die "Aktion lebendiges Deutsch" angenommen, ein Projekt der Stiftung Deutsche Sprache. Jeden Monat stellt sie zwei Wörter zur Diskussion und bittet das Publikum um eingedeutschte Varianten. Beispiel:
Auf die Einladung vom Juli, ein deutsches Wort für Event zu finden, gingen 1268 Vorschläge ein. Die Jury empfiehlt diesmal einen Kompromiss: entweder das Universalwort Event durch eines der vielen Wörter ersetzen, die es verdrängen will (Ereignis, Feier, Party, Sause) – oder einfach Hingeher sagen. Das könnte zwar ein Mensch sein und keine Sache aber der Hingucker, der Absacker, der Aussetzer sind ja schon eingebürgert, und lebendig sind sie auch.
Auf das zur Diskussion gestellte Wort im Mai – Fast Food – gingen über 3'500 Vorschläge ein. Darunter auch solche der witzigen Sorte: Haps, Schlung, Schmampf. Witzige Zweisilber: Issfix, Flinkie, Hastmahl – einige auch noch mit Binnenreim: Dampfmampf, Raschnasch. Etwas zu böse: Hatzfraß, Hudelmahl, Trottelfutter, Fettrein-würger. Außer Konkurrenz schließlich das Ruckizuckifutti und der Bikinifigur-Ruinierer. Entschieden hat sich die Jury jedoch für Schnellkost. Na ja, das tönt nun arg nach Sättigungsbeilage.

Wie auch immer: Auf die gleiche Weise wurde das Brainstorming zur Denkrunde, der Airbag zum Prallkissen und das Blackout zum Aussetzer. Weitere Beispiele:
  • Public Viewing = Schauarena
  • Laptop = Klapprechner
  • Junk Bonds = Schrottanleihen
  • Shareholder Value = Aktionärsnutzen.
Die Publikumsvorschläge für Blackout reichten übrigens von Abschalter bis Zündstörung, von Synapsenschaden bis Oberstübchenblockade. Diejenigen bei Brainstorming reichten von Gripstreffen bis Tüftelrunde, vom Grübelplausch über Denkgewitter bis zum Gedankenquirl und Phantasiegalopp.

Nun ist natürlich die Frage, ob sich solche Eindeutschungen auch durchsetzen können. Durchaus können sie das, es gibt unzählige Beispiele dafür: Aus shawl wurde Schal, aus cakes wurde Keks, aus strike wurde Streik. Und weiter bemerkt die Stiftung Deutsche Sprache:
Die Sprache entwickelt „sich“ nicht – sie wird entwickelt von denen, die sie sprechen oder schreiben. Luther hat sie dramatisch entwickelt, Lehrer, Journalisten, Werbetexter entwickeln sie permanent, ebenso die Vorkämpfer des feministischen Sprachgebrauchs und der Political Correctness.
Ein spannendes Projekt. Und eine spannende Website – ähm ... Netzauftritt.